Was bringt berufliches Sozialtraining für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung?
Die Integration in ein berufliches Umfeld stellt für viele Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung eine beschwerliche Herausforderung dar. Der soziale Umgang und die Kommunikation mit den Mitmenschen ist oft anstrengend und kann diese Menschen an ihre Grenzen bringen. Soziale und kommunikative Kompetenzen sind aber auch für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung erlernbar. Felix Hutter von Involvis ist langjähriger Job Coach, Integrationsberater und hat die Ausbildung zum Fachberater für Autismus absolviert. Er erzählt uns mehr zum beruflichen Sozialtraining.
Felix Hutter, welche Herausforderungen treffen Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung im beruflichen Alltag an?
Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörung. Menschen mit Autismus nehmen ihre Umwelt anders war und verarbeiten Informationen anders. Die Ausprägung der Symptome und autistischen Verhaltensweisen sind von Person zu Person sehr unterschiedlich. Manche Betroffene können ihre Symptome gut kompensieren, fallen kaum auf und kommen selbständig durchs Leben. Trotzdem ist für viele der Alltag oft sehr anstrengend und frustrierend. Mühe machen vor allem Schwierigkeiten und Besonderheiten im Bereich der sozialen Interaktion und der Kommunikation sowie in der sensorischen Über- oder Unterempfindlichkeit. In der Arbeitswelt werden zunehmend Fähigkeiten wie Multitasking, Teamfähigkeit, hohe Belastbarkeit in hektischen Situationen, Flexibilität und soziale Kompetenzen gewünscht. Alles Anforderungen, die Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung nicht oder nur mit grossem Energieaufwand erfüllen können. Die oft vorhandene Reizfilter-Schwäche führt zudem zu übermässiger Wahrnehmung von Geräuschen, Gerüchen und ähnlichen Reizen, was wiederum schnell zu Stress, Überlastung und eingeschränkter Handlungsfähigkeit führt.
Was ist das Ziel des beruflichen Sozialtrainings?
In unserem Training befassen wir uns mit den verschiedenen Formen der sozialen Interaktion und Kommunikation. In kurzen Theorieblöcken stellen wir beispielsweise Sinn und Zweck sowie Ablauf von Small-Talk vor oder schauen uns die Elemente der nonverbalen Kommunikation näher an. Um danach das Gehörte gleich in praktischen Übungen zu trainieren. Gemeinsam werden die Erfahrungen ausgewertet und besprochen. Durch die Kombination von Theorie und Praxis soll der Transfer in den Alltag erleichtert werden. Übungsaufgaben zwischen den Modulen unterstützen die Teilnehmenden dabei, das Gelernte im Alltag weiter zu festigen. Das Ziel ist, das Verständnis für Kommunikation und soziales Verhalten zu erhöhen und die entsprechenden Kompetenzen auszubauen. Da der Kurs in einer kleinen Gruppe von maximal 10 Personen und mit zwei Trainern durchgeführt wird, haben wir die Möglichkeit, auch auf subjektive Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmer*innen sensibel einzugehen. Neben den Bereichen der Kommunikation und sozialen Interaktion gehen wir auch auf den Umgang mit den eigenen Emotionen und inneren Prozessen ein. Achtsamkeit, ein gesunder Umgang mit Druck und Stress sowie das Erkennen der eigenen Stärken sind weitere wichtige Elemente der Schulung.
Wie können Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung soziale und kommunikative Kompetenzen erlernen?
Durch Wissen, Verständnis (der Situation und Erwartungen) und viel Üben. Vielen autistischen Personen fehlt der intuitive Umgang mit sozialen Situationen. Oft fällt es ihnen schwer, kommunikativ gut auf andere einzugehen oder die Erwartungen anderer zu erspüren. Oder aber die Wahrnehmungskanäle für die nonverbale Kommunikation (Gesten, Mimik, Körperhaltung) fehlen gänzlich. Dies macht es für sie teilweise sehr schwer, sich in sozialen Situationen passend zu verhalten. Dass solche Situationen der Unsicherheit Stress auslösen, macht es nicht einfacher. Vielen bleibt also nichts anderes übrig, als das Verhalten kontextspezifisch auswendig zu lernen. Eine passende Vorbereitung wie beispielsweise Einstiegs-Sätze in Small-Talk-Situationen können hier sehr hilfreich sein und Stress abbauen.
Wie lange dauert es, bis sie das Gelernte umsetzen können?
Das ist sehr unterschiedlich. Um es mit den Werbestrategen von Nike zu sagen: «Just do it!». Wir wissen jedoch aus eigener Erfahrung, dass es so einfach dann eben doch nicht ist. Einiges geht einem in der Umsetzung leicht von der Hand, anderes benötigt viel Einsatz und Übung. Für manches ist die Zeit (noch) nicht reif und anderes wiederum geht eben gar nicht. Um so wichtiger ist es, für sich selbst herauszufinden, was am ehesten umsetzbar und in der aktuellen Lebenslage möglichst gewinnbringend ist. Sich den Erwartungen des Umfeldes anzupassen ist ja gut und recht. Und oft gar unumgänglich, um weiter zu kommen. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass jede Anpassungsleistung Kraft kostet und es keinen Sinn ergibt, sich um jeden Preis verbiegen zu wollen. Das wäre eine sehr kurzsichtige und ungesunde Strategie. Es geht eher darum, sich seiner eigenen Stärken, Schwächen, Interessen und anderen Gaben/Eigenheiten bewusst zu werden. Und sich in diesem Ganzen vollumfänglich selber anzunehmen (wichtig) und für sich den passenden Platz im Leben zu suchen. Oft eine Gratwanderung und lebenslange Aufgabe, nicht nur für Autist*innen.
Weshalb gibt es dieses Training noch nicht lange?
Wir bieten das Berufliche Sozialtraining schon einige Jahre an. Jedoch hat uns die Situation mit Corona gut zwei Jahre «ausgebremst».
Was ist Ihre persönliche Motivation für Ihre Arbeit?
Wir von Involvis möchten andere Menschen unterstützen und einen Schritt (oder zwei ;-)) weiterbringen. Es motiviert uns sehr, unser Wissen und unsere Erfahrung weitergeben und Menschen in schwierigen Lebenssituationen ein Stück weit begleiten und ihnen mehr Zufriedenheit im Leben schenken zu können.
Wie sieht Ihre persönliche Vision für das ideale Umfeld für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung aus?
Autist*innen – so wie wir auch – blühen in einem Umfeld auf, das zu unseren persönlichen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen passt. Menschen sind soziale Wesen und wollen dazugehören, wollen wichtig und bedeutungsvoll sein. Sie möchten sich fähig fühlen, Einfluss nehmen können, sich sicher und geborgen fühlen. Um dies zu ermöglichen (oder wenigstens zu verbessern), ist unserer Erfahrung nach Transparenz und gegenseitiges Verständnis nötig. Autist*innen benötigen, noch stärker als wir, einen ihren Bedürfnissen und Einschränkungen angepassten Arbeitsplatz.
Wichtig erscheint uns, ein detailliertes Profil zu erarbeiten. Jede*r ist verschieden und hat unterschiedliche Fähigkeiten und Einschränkungen, die es zu beachten gilt. So können teilweise schon kleine ergonomische Veränderungen wie das Tragen von Kopfhörern (um die Überreizung durch Geräusche zu minimieren), ein ruhiger Rückzugsraum für Pausen oder der Verzicht auf Augenkontakt schon viel bewirken. Manchmal sind aber auch weiterreichende Massnahmen nötig. Eine Verkürzung des Arbeitsweges, Hilfe in der Arbeitsplanung, klare Strukturen, verständliche Kommunikation, gleichbleibende Rahmenbedingungen, konstante Bezugspersonen, ein reduziertes Arbeitspensum oder ein angepasster Aufgabenbereich können Wunder wirken. Das muss immer lösungsorientiert und in gegenseitigem Verständnis transparent erarbeitet werden. So kann ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich auch Autist*innen wohl fühlen und Leistung erbringen können.
Das nächste berufliche Sozialtraining wird voraussichtlich im Frühling 2023 durchgeführt.
Die genauen Daten werden wir schnellst möglich kommunizieren.