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Mit 140 km/h durchs Leben

138 Weltcuprennen, 7 WM-Medaillen, 46 Podestplätze – Daniel Albrecht hat Schweizer Skigeschichte geschrieben. Doch am 22. Januar 2009 veränderte sich sein Leben innert eines Wimpernschlages. Was «zusammen» für ihn bedeutet, wie er sich zurück auf die Piste kämpfte und welchen Stellenwert dabei das Team einnahm, erzählt uns der 39-Jährige – ganz persönlich.
Dani Albrecht Headerbild
Winter 1985. Daniel, als Zweijähriger stehst du auf der Fiescheralp im Wallis bereits auf den Ski. Wolltest du schon immer Skirennfahrer werden?

«Angefangen hat es mit meinem älteren Bruder. An seinem 3. Geburtstag hat er Ski geschenkt bekommen. Diese zwei Bretter haben mich sofort fasziniert. Ich kann gar nicht sagen, wieso genau. Ich trug sie auch im Wohnzimmer. Wir waren unzertrennlich.»


Und dann ging’s auf die Piste?

«Meine Eltern führten damals ein Bergrestaurant auf der Fiescheralp. Es war also naheliegend, dass es mich in den Schnee zog. Skifahren war einfach meine grosse Leidenschaft. Kam die Lehrerin nur fünf Minuten zu spät, war ich schon weg. Die Leute wussten, wo sie mich fanden – auf der Piste.»


Schon früh das eigene Ding durchgezogen …

«Das ist tatsächlich so. In mir schlummerte schon immer ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, eine Art Egoismus, wenn man so will. Im Sinne von: «Ich gehe meinen Weg, egal was ihr vorhabt.»»


Gab es auch eine Mannschaft hinter Ski-Star Daniel Albrecht?

«Das Team muss genauso leidenschaftlich sein wie du selbst. Und vor allem: Man muss menschlich, charakterlich zueinanderpassen. Wenn sich das alles optimal zusammenfügt, entsteht eine einzigartige Stimmung, was zweifellos die Grundvoraussetzung zum Siegen ist. Wenn die Stimmung im Team, in der Mannschaft, mit den Trainern passt, dann kannst du alles erreichen. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Mannschaft schlecht oder mies gelaunt ist, dann färbt das über kurz oder lang meistens auf dich ab.»

Dani Albrecht Bild 2

Du warst also immer ein Teamplayer …

«Ich war gerne mit meinen Skikollegen unterwegs. Die Zeit mit Marc Berthod möchte ich nicht missen. Für mich fühlte es sich ganz natürlich an. Im Profisport gibt es mehrere Parteien in deinem Netzwerk. Es gibt die Mannschaft und die damit verbundenen Verpflichtungen. Und dann gibt es noch dein ganz persönliches Team – Sponsoren, Ausrüster, Techniker, Berater, Konditionstrainer etc.»


Du brauchtest all diese Leute?

«Wenn du auf einem bestimmten Niveau mithalten möchtest, muss du jedes Puzzleteil laufend optimieren. Sonst kannst du nicht mit den Besten mithalten. Es braucht auf jeden Fall jemanden, der dir gelegentlich einen Tritt in den Hintern gibt. Wenn du gewinnen willst, machst du automatisch, was es braucht, um Siege zu feiern.»


Wie zum Beispiel …

«Meinen Manager zum Beispiel. Den hatte ich schon vor der Junioren-WM. Ich habe immer zu 100 Prozent daran geglaubt, dass ich es schaffe. Und dass ich mich dafür aufs Skifahren konzentrieren muss. Darum brauchte ich schon früh jemanden, der sich ums ganze Drumherum kümmerte. Ich hatte immer das grosse Bild vor Augen, meine Vision. Aber auch alle Schritte, die es brauchte, um diese Vision wahrzumachen.»


Wie wichtig ist Teamspirit im Skisport?

«Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Jahre mit Marc Berthod. Die Schweiz stand zu dieser Zeit eher schlecht da – wenig erfolgreiche Athleten, Didier Cuche war verletzt. Niemand hatte mit uns beiden gerechnet. Wir waren ein Team, wie es im Buche steht.»


Wie äusserte sich dies?

«Egal wer unsere Sponsoren oder Ausrüster waren, wir haben uns immer gegenseitig unterstützt und Tipps gegeben. Wir haben einander geholfen, die Skis zu tragen und unsere Erfahrungen auf der Piste mit allen im Team geteilt. Wir waren dabei, einen guten Spirit zu kreieren und zu leben. Als Team gewonnen und als Team verloren. Indem man dem Team half, hatte man die Bestätigung für das, was man selber tat. Und wurde so automatisch besser.»


8. Februar 2007. Weltmeister in Åre. Und dann zahlreiche weitere Erfolge im Weltcup. Was weisst du noch von dieser Zeit?

«Was mir geblieben ist, sind vor allem Gefühle. Früh am Morgen bist du auf der Piste, die Sonne geht auf und du hörst das Kratzen des Skis, der im Schnee greift. Die Vorbereitung auf das Rennen, das Konzentriert-Sein. Die Nervosität, das Adrenalin beim Start. Die Überzeugung, das Selbstbewusstsein, wenn es darauf ankommt. Eben all die Emotionen, die dich an solch einem Tag begleiten. Und mit all dem musste, durfte ich umgehen.»

Dani Albrecht Bild 3

22. Januar 2009. 140 km/h. 70 Meter Flug. Schwerer Sturz aus 5 Metern in Kitzbühel. Schädel-Hirn-Trauma. Drei Wochen Koma. Wie war das Erwachen?

«Ich habe absolut keine Erinnerungen. Wenn man aus dem Koma erwacht, ist man nicht plötzlich voll da. Ich wusste lange nicht, wie ich heisse, wer ich bin. Auch nicht, dass ich Skifahrer war. Die erste Erinnerung war der Weg zur Rehabilitation. Täglich ein paar Therapie-Sessions und viel schlafen. Mal der eine oder andere Gedanken wie zum Beispiel: «Was für ein Auto hatte ich zuhause?» Und dann alles nochmals von vorn.»


Du warst für die Reha im Berner im Inselspital. Wie muss man sich das vorstellen?

«Ich wachte morgens auf. Der Arzt kommt vorbei und fragt: «Wie geht es dir?». Beantwortete ich diese Frage mit «gut», kam die nächste: «Wie heisst du?». Und wenn du’s nicht weisst, gehen sie und kommen am nächsten Tag wieder vorbei. In der Zwischenzeit «hirnst» du ganzen Tag an deinem Namen. Erinnerte ich mich irgendwann an meinen Namen, kam die Frage nach dem Alter. Und so ging das wochenlang.»


Wie war es, wenn deine Familie vor Ort war?

«Wenn die Familie mich besuchte, war es nicht viel anders. Wenn du nichts weisst, gibt es auch nichts zu diskutieren. Du hast keine Emotionen. Du weisst nur, was gut oder schlecht ist. Es ist wie einer Fremdsprache zuzuhören, ohne ein Wort davon zu verstehen.»


Und wie kamen die Erinnerungen wieder zurück?

«Irgendwann weisst du immer mehr von der Vergangenheit. Anfangs kannst du’s allerdings zeitlich noch nicht einordnen. Natürlich kam dann auch der Tag, als ich realisierte, dass ich Skifahrer war. Ich wusste auch wieder, dass ich erfolgreich gewesen war und bereits Siege eingefahren hatte.»


War Aufgeben ein Thema? Schliesslich wurdest du komplett aus dem Leben gerissen …

«Ich hatte mir wieder das Ziel gesetzt, Weltcuprennen zu fahren. Obwohl ich noch nicht reden oder denken konnte. Mein Umfeld akzeptierte es nur, weil meine Comeback-Bemühungen als meine ganz persönliche Therapie angesehen wurden. Ihr Ziel war es, mir zurück ins Leben zu helfen. Ich wollte aber wieder siegen.»


Wie wichtig war in dieser Zeit das «zusammen», die Unterstützung von aussen?

«Am Anfang im Spital habe allein ich alles entschieden – es ging nur um mich. Ich dachte, ich muss das alles selbst hinbekommen. Ich hatte auch nie an andere gedacht, nicht ans Team, nicht an den Trainer. Im Nachhinein merkte ich, dass ich das Team eigentlich gebraucht hätte. Durch meinen «Egotrip» hat man sich langsam immer mehr voneinander distanziert. Mein Schicksal und ich waren für manche Athleten nicht mehr greifbar. Man wusste nichts mehr voneinander. Oft ging einfach die Verbindung verloren.»


Und zuhause?
«Meine Frau war die wichtigste Stütze für mich. Sie wusste, wie ich funktioniere. Was für mich wichtig ist, was nicht. Sie hat sich intensiv mit meiner Situation befasst, sich informiert. Und sie konnte darum mit all dem hervorragend umgehen. Sie fand die richtigen Griffe im richtigen Moment. Sie war letztlich der Grund, dass ich überhaupt so weit gekommen bin.»


Dani Albrecht Bild 4

5. Dezember 2010. Rund zwei Jahre nach deinem Sturz. Du stehst am Start und schaust den Hang hinunter. Was ging dir da durch den Kopf?
«In der Trainingsfahrt am Tag davor war ich müde im Kopf. Am Renntag dachte ich mir nur: «Fahre einfach und schaue, was passiert.» Das erlaubte mir, mit Lockerheit den Berg hinunterzufahren. Es war genau diese Unbeschwertheit, die mir einen Platz in den Top 30 bescherte. Das war ein grosses Erfolgserlebnis für mich. Ich war gemütlich gefahren und trotzdem schnell. Ich wusste, ich konnte es in die Top 15 schaffen und vorn mitfahren.»


Und du hattest es geschafft …

«Was gleichzeitig mein Dilemma war. Mit diesem Platz 21 hatte ich es allen gezeigt, die an mir gezweifelt hatten. Ich musste niemandem mehr etwas beweisen.»


6. Oktober 2013. Bekanntgabe deines Rücktritts. Was war das für ein Gefühl?

«Erleichterung. Das war keine Entscheidung von heute auf morgen. Ich wollte aufhören. Ich hatte neue Ziele, mein neues Leben, meine Familie, unser neues Haus. Ich konnte es so für mich persönlich positiv beenden.»


Was rätst du Menschen, die Schweres durchmachen müssen im Leben?
«Es funktioniert jeder anders. Es gibt nicht den einen Tipp, der für alle Schicksale funktioniert. Ich denke aber, es ist nie falsch, auf sein Bauchgefühl zu hören.»


2023. Wer ist Daniel Albrecht heute als Mensch?
«Momentan bin ich Papi, oft zuhause und verbringe eine ruhige Zeit mit der Familie. Vor allem auch mit meiner Tochter. Bald geht sie in die erste Klasse und ich werde wieder mehr Zeit haben für meine Ambitionen. Eine grosse Vision habe ich bereits. Ich verrate sie heute noch nicht. Aber ich möchte sie unbedingt verwirklichen, lasst euch überraschen.»


Was ist das Wertvollste, das dir je gesagt wurde?

«Er wurde mir zwar nicht direkt gesagt. Denn es ist von Herman Hesse: Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen. Oder anders: Du musst dir zuerst Gedanken machen dazu, was denn eigentlich unmöglich ist. Und dann probierst du das so lange und kannst erst dann sehen, was im Bereich des Möglichen ist. Es beginnt alles mit einem Gedanken.»

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